Etiketten
"Gadodetsa do?" (Wer bist du?) fragte mich Großvater
eines morgens, während er in der Glut des Feuers stocherte.
"Tlaigoliga." (Ich verstehe Dich nicht) antwortete ich,
etwas verwirrt.
"Gadodetsa do." wiederholte er und ich sagte ihm den
Namen, den meine Eltern mir bei der Geburt gegeben hatten und
dessen Bedeutung. Die ganze Zeit über sah er mich direkt
an und "hmm"te in sich hinein.
"Tla, Gadodetsa do." (Nein, wer bist du) wiederholte
er noch einmal, nachdem ich geendet hatte.
"Daquadov Udiyvli Galegi, Ani Tsisqua, Ani Tsalagi."
(Ich werde Shadow Viper genannt, vom Vogelclan des Tsalagi-Volkes),
antwortete ich ihm, weil ich dachte, dass er vielleicht meinte,
wer ich unter den Tsalagi sei. "Hmmm, na ist das nicht interessant!"
sagte er nach einem Moment, " Ich frage dich zweimal, wer
du bist und die einzige Antwort, die du mir geben kannst, sind
die Etiketten, die andere dir gegeben haben, Ich denke nicht,
dass du wirklich weißt, wer du bist, oder?"
Etiketten
Wir bekommen sie bei der Geburt und tragen sie unser ganzes Leben
mit uns herum. Das sind Versuche uns zu identifizieren und zu
sagen "wer wir sind". Wie viele von uns können
ehrlich sagen, dass diese Namen, die wir erhalten haben, diese
Etiketten, wahrhaftig die Essenz von dem ausdrücken, was
und wer wir sind? Eine gute Übung, wenn ihr das nicht sowieso
schon getan habt, ist es, sich vor einen Spiegel zu stellen und
sich ehrlich und objektiv selbst anzusehen. Dann frage dich "Wer
bist du?" suche in deinem Geist und schau nach, ob du wirklich
eine ehrliche Antwort kennst.
Für viele Menschen ist es ausreichend, das Etikett, das sie
bekommen haben, einfach zu akzeptieren. Es reicht für sie
aus, einen Namen zu haben, mit dem sie sich identifizieren können
- sie verschwenden keinen weiteren Gedanken an diese Frage. Für
andere funktioniert das mit dem Etikett, das sie bei der Geburt
bekommen haben, nicht. Deshalb nehmen sie sich selber ein Etikett,
einen Spitznamen oder ähnliches, um zu versuchen, die Essenz
ihres Seins besser einzufangen, ein Label das besser definiert,
was sie selbst meinen zu sein. Dann gibt es noch die magischen
Menschen, die sich einen Geheimnamen aussuchen, oder einen Hexennamen.
Beides dient dazu, den Prozess der Eigenverantwortung und der
Selbstdefinition zu fördern. Aber ehrlich und ernsthaft,
keine dieser Etiketten - weder diejenigen, die wir erhalten, noch
diejenigen, die wir uns selber aussuchen - können jemals
wirklich und umfassend definieren, wer wir sind.
Die Etikettierung hört aber nicht bei unseren Namen auf.
"Amerikaner, Österreicher, Heide, Christ, Indianer,
Hexe" - wenn ich diese Dinge nur erwähne, dann bin ich
sicher, dass sofort in euren Gehirnen Bilder und Gedanken auftauchen.
Genau diese stereotypen Bilder. Könnt ihr ernsthaft an eine
einzige Person denken, die zu 100% in das Bild dieses Stereotyps
passt? Natürlich tut das keiner - und das sollte auch keiner
tun. Wir etikettieren uns sogar selbst - definieren uns selbst
damit - so als ob sie uns irgendwie die Bedeutung bringen würden,
wer wir wirklich sind. Aber tun sie das wirklich?
Etiketten sind nur Etiketten. Sie sind wie Masken hinter denen
wir uns verstecken. Kleine Dinge, die wir mit uns herumtragen
um zu versuchen, uns eine bestimmte Identität zu geben. Viele
der Menschen, die ich getroffen habe, akzeptieren diese Labels,
sowohl die eigenen als auch die anderer und denken nicht viel
darüber nach. Du kannst sie über sich selbst befragen
und sie werden antworten "Ich bin..." oder "Ich
bin ein/e..." - so als ob das tatsächlich jemandem sagen
würde, wer sie sind. Ich nehme einmal an, das ist für
diese Menschen in Ordnung so, wenn das die Tiefe ist, die sie
erreichen wollen. Ich nehme auch an, dass bis zu einem gewissen
Ausmaß, diese Etiketten auch nützlich sind (schließlich
würde es, wenn wir nicht irgendwelche Namen hätten,
ziemlich verwirrend werden, mit jemanden über jemand anderen
zu sprechen). Trotzdem aber denke ich, dass Etiketten auch gefährlich
sind.
Jedes Mal, wenn wir etwas oder jemandem ein Etikett verpassen,
dann setzen wir auch in einem bestimmten Maß Grenzen, wenn
auch nur in unserem eigenen Geist. Ob wir es nun wahrhaben oder
nicht, wenn wir jemanden als etwas benennen, bringen wir automatisch
alle möglichen Vorurteile und Gedanken damit in Verbindung.
Ein Beispiel:
Das Wort "Indianer" wurde für die amerikanischen
Ureinwohner verwendet. Es bildeten sich Konzepte rund um diesen
Begriff, wie "Wilder, ungebildet, Bettler, Dieb, primitiv,
etc etc etc" Es tauchen auch sofort geistige Bilder auf wie
Tomahawks, Kriegsbemalung, Tipis, Pfeil und Bogen, Wildlederhosen,
Federschmuck, etc. Aber diese Dinge sind alle Stereotype - diese
Konzepte und Bilder stehen im Weg, wenn man das Individuum auch
als solches wahrnehmen will. Nur so nebenbei sagte einmal jemand
zu mir: "Wenn Du ein Indianer bist, wo sind dann dein Federschmuck
und deine Kriegsbemalung?" Ich antwortete mit der Frage:
"Wenn Du ein Österreicher bist, wo sind dann deine Lederhose
und dein Gamsbart?" Ich denke, er hat mich verstanden. In
der Vergangenheit haben mich einige Leute beschuldigt, dass ich
ihre klaren, an Labels orientierten Fragen vermieden hätte.
Es ist wahr; Ich meide diese Fragen wie die Pest. Allerdings tue
ich das aus einem sehr einfachen Grund heraus - ich möchte
nicht nur unter einem Etikett bekannt sein. Wie viele Menschen,
die mir schon begegnet sind bestätigen können, ist meine
Antwort immer die selbe "Ich bin wer ich bin und das ist
genug für mich".
Auf jeden Fall sind die Etiketten, die wir auf andere kleben
nur halb so schlimm, wie diejenigen, die wir uns selbst anheften.
Ein hoher Prozentsatz von psychologischen Problemen kommt von
den Etiketten, die wir uns aufdrücken und es dann nicht schaffen,
ihnen zu entsprechen (oder ihnen auch allzu gut entsprechen).
Wenn wir für uns selbst Etiketten verwenden, dann betrügen
wir uns meist selbst darum, herauszufinden, wer wir wirklich sind
- besonders, wenn das Label zur Definition wird, über die
wir uns selbst begreifen. Wer wir sind, kann einfach nicht mit
einem Etikett beantwortet werden. Wir können unsere Nationalität
mit einem Etikett erklären, unseren Beruf, unseren religiösen
Glauben, unsere politische Einstellung oder was auch immer sonst
noch - aber die wahre Essenz unseres Seins kann genauso wenig
mittels eines Etikettes definiert werden, wie sich Wind nicht
in einem Korb einfangen lässt.
Um tatsächlich heraus zu finden, wer wir sind, ist es nötig,
all die Etiketten, die wir im Laufe unseres Lebens gesammelt haben,
abzulösen und dann uns selbst zu erlauben, dass wir genau
der sind, der wir sind und genau so sind, wie wir sind.
Mögen Euch die Spritis auf euren gewählten Pfad weiterhin
führen
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